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Bioplastik aus Abfall

Bioplastik aus Abfall

Eine Grüne Meeresschildkröte mit einer Plastiktüte am Great Barrier Reef in Australien. Der Fotograf konnte die Tüte entfernen, bevor sie im Magen der Schildkröte gelandet wäreLupe© Vitaliy Sokol (Will Falcon)

 

Das Verführerische von Plastik lässt sich wohl an keinem anderen Produkt so anschaulich beschreiben wie am Nylon-Strumpf. Er beult nicht, zieht kein Wasser um die Fesseln, macht Frauenbeine schön, Männerbeine auch, weckt erotische Fantasien und ist für ein paar Cent zu haben. Der „Nylon“ – schön und praktisch. Und zumindest schön praktisch sind eben auch Tausende andere Artikel aus Kunststoff, weshalb der Mensch seit über 100 Jahren unaufhörlich Plastik aus Erdöl, Erdgas oder Kohle produziert: Spielzeug, Geschirr, Stifte, Armaturen, Jalousien, Kämme, Handys, medizinische Instrumente, Stühle, Becher, Slips, Schmuck, EC-Karten, Klobrillen und so weiter. Jedes Jahr zum Beispiel wird die Erde um 88 Milliarden Coca-Cola-Einwegflaschen aus Kunststoff „reicher“. Der Kunststoff ist aus unserem jetzigen Leben nicht wegzudenken.

 

 

Peter Neumann, Leiter des Fachgebiets Bioverfahrenstechnik (l.), und Sebastian Riedel im Labor

 

 

Längst ist er aber auch zum Fluch geworden. Der schwimmende Plastikteppich im Pazifik vor der Küste Kaliforniens – viereinhalbmal so groß wie Deutschland – und an Plastiktüten verendete Fische und Vögel sind nur der sichtbare Teil des Problems. Wie viel Plastik beziehungsweise Mikroplastik sich in den Meeren, Seen und Böden auf dem Blauen Planeten befindet und mit welchen Auswirkungen auf Menschen und Tiere, weiß niemand.
Ein zaghafter Ansatz, der Plastikplage Herr zu werden, ist PHA. Die drei Buchstaben stehen für Polyhydroxyalkanoate. Es sind Biopolymere, die als Bioplastik bezeichnet werden, weil PHA ähnlich thermoplastisch verformbar ist wie Plastik aus fossilen Rohstoffen. „Aber das war es dann auch schon an Gemeinsamkeiten“, sagt Dr.-Ing. Sebastian L. Riedel, der zusammen mit Dr.-Ing. Stefan Junne an der Herstellung von PHA forscht. Und auch Bioplastik ist nicht gleich Bioplastik. „Die Hälfte der zwei Millionen Tonnen Bioplastik, die derzeit pro Jahr produziert werden, ist biologisch nicht abbaubar, und die andere Hälfte teilweise nur schwer“, weiß Riedel. Da ist PHA aus anderem „Schrot und Korn“. Es wird in Wasser und Boden vollständig zu Kohlenstoffdioxid und Wasser abgebaut und ist mit keinem Risiko für die Gesundheit verbunden.

Niemand weiß, wie viel Plastik im Meer schwimmt

PHA kann aus vielen Stoffen gewonnen werden – aus Mais, Zucker, Glycerin oder Palmöl. Sebastian L. Riedel selbst begann seine Forschungen an PHA vor zehn Jahren in den USA, am Massachusetts Institute of Technology (MIT), mit Palmöl. „Das ist ein superunkomplizierter Ausgangsstoff für die Produktion von PHA“, so Riedel. Aber die Palmölplantagen rücken dem Regenwald zu Leibe. Als er 2012 an die TU Berlin kam, stellte er seine Forschungen mit Palmöl ein. „Ersatz für Plastik gefunden, Regenwald abgeholzt – das kann ja nicht das Ergebnis von Forschung sein“, begründet Riedel seine Entscheidung. Seit 2017 baut Riedel seine PHA-Forschung mit biogenen Reststoffen am Fachgebiet Bioverfahrenstechnik aus, das sich der Entwicklung nachhaltiger Bioprozesse verschrieben hat. Das neue Ausgangsprodukt, das Sebastian L. Riedel und Stefan Junne vorschwebte, sollte das Klima nicht belasten und so weit wie möglich kein Nahrungs- oder Futtermittel sein, wie zum Beispiel Mais. Denn auch einen solchen Ausgangsstoff halten sie für problematisch. Auf der Suche nach einer Alternative entschieden sie sich unter anderem für Abfallfette, die zum Beispiel in der Landwirtschaft in Form von Tierkadavern, in der Gastronomie oder bei der Weiterverarbeitung von Lebensmittelabfällen anfallen. Abfall also, Reste. Für sie jedoch wertvolle Rohstoffe.

Bakterien „malochen“ für uns

Wie aber wird aus stinkendem braunen Fett jenes PHA, das einmal wie feinstes, weiß schimmerndes Seidenpapier daherkommt oder die Konsistenz von Waschpulver oder Popcorn haben kann? „Das bewerkstelligen Bakterien namens Cupriavidus necator, auch als Knallgas-Bakterien bekannt. Die lassen wir für uns ‚malochen‘“, lacht Riedel. „Wir setzen sie in eine Mineralsalzlösung, füttern sie mit Stickstoff, Phosphor, Sauerstoff und Kohlenstoff. Den Kohlenstoff geben wir in Form von Abfallfetten hinzu. Dann lassen wir sie wachsen. Nach einer bestimmten Zeit entziehen wir den Bakterien den Stickstoff. Auf diesen Mangel reagieren sie, indem sie den nun überschüssigen Kohlenstoff im Abfallfett als Energiereserve in ihren Zellen anlegen und in PHA umwandeln. Würden wir nach einer gewissen Zeit wieder Stickstoff hinzugeben, würden die Bakterien erst einmal das intrazellulär gespeicherte PHA als Energiequelle nutzen. Das machen wir natürlich nicht, denn wir wollen das in den Zellen produzierte PHA ja gewinnen, also extrahieren wir es mit Lösungsmitteln, die teilweise nach dem Prozess wieder zurückgewonnen werden können“, erklärt Riedel.
Die Extraktion des PHA aus den Zellbakterien ist für die TU-Wissenschaftler allerdings noch eine Herausforderung. „Da es unser Ziel ist, den gesamten Prozess der Herstellung von PHA – also vom Ausgangsprodukt bis zur Extraktion – nachhaltig zu gestalten, scheiden viele herkömmliche Lösungsmittel, die die Umwelt belasten, aus. Die würden uns die Bilanz verhageln“, so Junne. Einen anderen Weg zu finden, daran wird zurzeit geforscht. Denn die TU-Wissenschaftler wollen PHA nicht nur ökologisch und nachhaltig produzieren, sondern auch ökonomisch. Und die Extraktion mit und ohne Lösungsmittel ist im Moment noch ein großer Kostentreiber. „Es bringt nichts, einen Prozess zu entwickeln, der das Endprodukt für den Hersteller so teuer macht, dass es unverkäuflich wird“, sagt Junne. Jeder Artikel, der aus PHA hergestellt wird, steht immer in Konkurrenz zu den Cent-Plastikartikeln aus fossilen Rohstoffen. Es ist den hohen Produktionskosten geschuldet, dass 2018 die weltweite Jahresproduktion von PHA nur bei 30 000 Tonnen lag – ein Bruchteil also, gemessen an den 400 Millionen Tonnen Plastik, die jährlich gegenwärtig weltweit produziert werden.
Unverantwortlich viel, finden Riedel und Junne. Sie scheuen sich deshalb auch nicht, dem Verzicht das Wort zu reden, und plädieren dafür, dass der Mensch seinen enormen Verbrauch von Ressourcen wenigstens eindämmen müsse. „Unsere Vision ist es jedenfalls nicht, 450 Millionen Tonnen Plastik durch 450 Millionen Tonnen Bioplastik zu ersetzen.“

 

Was aus PHA bereits ­hergestellt wird: Fasern, Hygieneartikel, Verpackungen, Folien. In der Medizintechnik kommt es bereits als resorbierbare Gefäßimplantate oder chirurgische Nahtfäden zum Einsatz. Für diese medizinischen Anwendungen kommen Ab-fallfette als Ausgangsstoff für PHA aus hygienischen Gründen natürlich nicht in Frage. Die biotechnologische Produktion von Nylon aus Reststoffen wird derzeit am Fachgebiet Bioverfahrenstechnik mit ähnlichen Ansätzen erforscht


Lupe© TU Berlin/PR/Tobias Rosenberg

 

Jährlich werden 450 Millionen Tonnen Plastik weltweit produziert. Ein zaghafter Ansatz der Plastikplage Herr zu werden ist PHA. Es wird auch als Bioplastik bezeichnet. PHA kann aus vielen Stoffen gewonnen werden – aus Mais, Zucker oder Palmöl. Im Film erklären die Wissenschaftler Prof. Dr. Peter Neubauer und Dr.-Ing. Sebastian L. Riedel vom Fachgebiet Bioverfahrenstechnik, warum sie nach einer Alternative für diese Stoffe gesucht haben und welche es ist.